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Emotionen und Entscheidungen

Drei Triebzüge: Graffitiert, beklaut, vandaliert, verkeimt, vom Alu-Frass zerstört, vielleicht sogar asbestverseucht? Wer kann da nur auf die Idee kommen; die Reste dieser drei Züge zu kaufen? Vielleicht, um sie beim nächsten Altmetallhändler schreddern zu lassen?

Nein, die Antwort ist so einfach – und klingt dennoch absurd: Um wenigstens einen dieser erstklassigen Züge, die einen wesentlichen Meilenstein in der Entwicklung des Hochgeschwindigkeitsverkehrs in Deutschland darstellten, der Nachwelt zu erhalten – in welcher Form auch immer.

Emotionale Beweggründe? Ja klar, die gibt es, muss es auch geben. Doch entscheidend war eine in den vergangenen Monaten sehr rational abgearbeitete To-Do- und Checkliste mit vielen Einzelprüfungen. Diese führten schließlich zu einer sehr sachlich getroffenen Kaufentscheidung, zugegeben sehr spät, doch hoffentlich nicht zu spät.

Emotionen, Emotionen

West-Berlin, Ende September 1974; Ausstellung im Messegelände unter dem Funkturm – für alle West-Berliner ein Muss. Schließlich gab es hier den Blick aus der eingemauerten Teil-Stadt in die weite Welt. Und die ließ sich nicht lumpen und zeigte das Neueste, Schönste, Beste, das sie gerade zu bieten hatte. Es gab auf dem Messegelände auch einen einfachen Gleisanschluss. Er verlief damals im rechten Winkel zur heute vorhandenen, wesentlich umfangreicheren Gleisanlage, die wir von der INNOTRANS kennen.

Für den Eisenbahnfreund war die Ausstellung meist weniger interessant, er konzentrierte sich lieber auf die letzten 01er am Bahnhof Zoo, oder auf die schmutzig-gelben 106, die im Dickicht zugewucherter Güterbahnhöfe rangierten.

Doch diese Messe bot diesmal etwas ganz besonderes. Da stand er, auf dem einsamen Gleis parallel zur heutigen Halle 25. Ein fabrikneuer ET 403! Er durfte sogar von innen besichtigt werden. Ja, das ließ das Herz höher schlagen. Es war der Zug 2 mit den Kopfwagen 403 003 und 403 004. Fast ehrfürchtig liefen wir Jugendliche durch die Wagen, trauten uns kaum, etwas zu berühren. Das futuristische Äußere und die großzügig moderne Eleganz innen standen so ganz im Gegensatz zu den täglichen Interzonenzügen mit ihren Plastiksitzen und ihrem unverkennbaren Bundesbahn- oder Reichsbahn-Geruch. Der „Tagesspiegel“ schrieb damals: „Eingepfercht zwischen zwei alten braunen Güterwagen“ sei er in die geteilte Stadt gekommen, wahrscheinlich über Marienborn. Das beflügelte die Phantasie: Kurzer Stopp in Magdeburg, Übergangskupplungen lösen, Stromabnehmer heben… und ein Kurztripp nach Leipzig, Einfahrt in einen der beeindrucktesten Kopfbahnhöfe der Welt...

Bei diesen Schülerphantasien blieb es zunächst, doch schon zwei Jahre später gab es die nächste Begegnung mit dem ET 403. Beim Kurzurlaub in Nürnberg stand, wie bei jedem Urlaub fernab West-Berlins, ein Besuch des örtlichen Hauptbahnhofes auf dem Programm. Erst einmal Enttäuschung, weil der großartige TEE „Prinz Eugen“ nur drei Wagen führte. Als Berliner stellte man sich damals unter einem TEE einen Luxuszug mit mindestens 14 Wagen vor.

Doch die Entschädigung kündigte sich in Form eines Geräusches an, das an den Besuch bei der S-Bahn in München im Jahr zuvor erinnerte. Das erste Mal einen ET 403 in Bewegung als InterCity zu sehen, ein weiteres bleibendes Erlebnis.

Im Oktober 1983, Nürnberg war inzwischen als neue Wahlheimat auserkoren, begann das Studium bei der DB in Köln. Jeden Freitagnachmittag war die Heimfahrt von Köln im InterCity-Speisewagen entlang des Rheins obligatorisch. Und da huschte er auf dem Gegengleis vorbei, einen kurzen Augenblick nur und knallgelb – der ET 403, jetzt als Lufthansa Airport Express. Ungezählte Male wurde er in den folgenden Jahren gesichtet, doch kein einziges Mal eine Mitfahrt von innen erlebt.

Die Tätigkeit bei der Bundesbahndirektion Nürnberg und die Inbetriebnahme-Vorbereitungen für die ICE 401 brachten gelegentliche Besuche im Aw Nürnberg mit sich. Eher zufällig entstanden dabei einige Aufnahmen von der Hauptuntersuchung eines ET 403.

Doch die persönliche Interessenlage war damals eine andere. Die spannende Zeit unmittelbar nach dem Fall der Mauer 1989 und damit erstmals mögliche Besichtigungstouren zu den seit wenigen Wochen auch für West-Eisenbahner erreichbaren Betriebswerken der Reichsbahn standen viel höher im Kurs. So sollte es viele Jahre dauern, bis sich die Wege mit den ET 403 wieder kreuzen sollten.

Die Vorstandstätigkeit bei der zwischenzeitlich zum Arriva-Konzern gehörenden Regentalbahn brachte völlig überraschend die Option einer Wiederauferstehung der drei Züge (siehe „ET403 - Geschichte“). Die Idee eines Einsatzes im schnellen RegionalExpress-Verkehr über die Neubaustrecke Nürnberg – Ingolstadt (- München) in Ergänzung zu zwei lokbespannten Zuggarnituren hätte den ET 403 für wenigstens acht Jahre ein neues Leben hauchen können. Nachdem sich aber Bayern zugunsten von DB Regio entschied, mussten wir die Probezerlegung des ET 403 004 in Neustrelitz abbrechen.

Spätestens jetzt wurde deutlich - nur noch eine private Initiative kann einen der Züge retten.

Rationale Entscheidungsgrundlagen

Als die Prignitzer Eisenbahn im Jahr 2010 die drei Entenschnäbel auf ihrer Homepage zum Verkauf anbot, war klar, dass nun sehr bald eine Entscheidung über das Schicksal der Züge fallen musste. Es gab jedoch auch andere gewichtige Gründe, die zu einem erheblichen Zeitdruck führten.

Erstens wurde der Zustand der Züge von Monat zu Monat schlechter. Nicht nur, weil Regenwasser durch die zahlreich geborstenen Fensterscheiben eindrang und die Reste der noch übrig gebliebenen Inneneinrichtung zu zerstören drohte, sondern vor allem, weil ab Sommer 2010 erneut Materialdiebe Schaltschränke und Abdeckungen aufstemmten, um Kupfer und Aluminium heraus zu schneiden.

Zweitens sind für eine eventuelle technische Aufarbeitung unzählige Ersatzteile erforderlich. Die meisten waren bisher tatsächlich bei der DB AG auch noch vorrätig. Der überwiegende Teil der Antriebs- und Steuerungstechnik ist mit den S-Bahnzügen der Baureihe ET 420 der ersten bis dritten Lieferserie (Nummern bis 420 260) identisch. Mit der Ausmusterung des letzten dieser Züge im Sommer 2011 in Frankfurt wurden auch die noch vorhandenen, umfangreichen Ersatzteillager für diese Züge der Verwertung zugeführt. Gleiches gilt für die Inneneinrichtung. Die 403-Kopfwagen sind weitgehend identisch mit den 1.Klasse InterCity-Wagen der Bauart Avmz der frühen siebziger Baujahre. Das trifft auch zu für den 404-Großraumwagen, der dem IC-Großraumwagen Apmz ähnelt. Sogar die Schaltschränke für Klima und Beleuchtung sind identisch! Doch fast alle der IC-Wagen sind inzwischen durch das Re-Design gelaufen und besitzen viele Original-Ausstattungsteile nicht mehr. Nur noch ganz wenige Wagen sind als potentielle Ersatzteilspender vorhanden.

Drittens schließlich bedarf es für die anspruchsvolle Aufgabe einer Triebzug-Aufarbeitung auch das erforderliche Know-how. Vor 38 Jahren gebaut und vor 18 Jahren abgestellt –gibt es da noch den echten Bundesbahn-Beamten, der den 403 instand gehalten oder gar technologisch mit entwickelt hat? Ja, es gibt sie tatsächlich noch, die ganz wenigen echten Experten, Fachleute von der Pike auf, die ein unersetzliches Wissen und einen kostbaren Erfahrungsschatz besitzen. Doch auch hier eilt die Zeit ….

Auf das Angebot der Prignitzer Eisenbahn hatte sich jedenfalls zunächst nur ein ernsthafter Interessent gemeldet. Das Verkehrsmuseum Nürnberg wollte löblicherweise die Kopfwagen des in Neustrelitz abgestellten Zug 2, ET 403 003 und 004 erwerben. Leider gab es in der Folgezeit jedoch „budgettechnische“ Probleme bei der DB, so dass das Museum von seiner Kaufabsicht zurücktreten musste.

Jetzt war es allerhöchste Zeit zu handeln. Die To-Do-Liste für eine mögliche Kaufentscheidung sah u.a. folgende Meilensteine vor:

1. Verkaufsbereitschaft des bisherigen Eigentümers
2. Sichtung der evtl. vorhandenen Fahrzeug-Unterlagen und Dokumente
3. Erste technische Untersuchung zur Ermittlung des Ist-Zustandes
4. Gespräch mit dem Eisenbahn-Bundesamt zu den rechtlichen Grundlagen
5. Suche nach Experten zur Fahrzeug-Instandhaltung
6. Beschaffungsmöglichkeiten von erforderlichen Ersatzteilen
7. Festlegung eines gesicherten Abstellortes mit Aufarbeitungsmöglichkeit
8. Wiederherstellung der Lauffähigkeit zur Überführung
9. Finanzierung der Fahrzeug-Beschaffung
10. Finanzierungskonzept zur roll- oder betriebsfähigen Aufarbeitung

Nur wenn alle Meilensteine 1- 10 ein positives Ergebnis zeigten, sollte ein Ankauf der Fahrzeuge stattfinden.

Als die Nachricht aus Neustrelitz eintraf, dass dort noch alle zwölf Betriebsbücher liegen, war die Freude groß. Bei der Sichtung der Bücher gab es zunächst eine Ernüchterung: Die Beheimatungsunterlagen von 1974 bis 1988 fehlten. Sie waren der groß angelegten „Entrümpelungsaktion“ der DB, den Umfang der Betriebsbücher zu verkleinern, wie tausende andere DB-Betriebsbücher auch, zum Opfer gefallen.

Umso größer war die Überraschung, dass sämtliche Zulassungs- und Abnahmeunterlagen aus der Zeit von 1972-74 noch im Original vorhanden sind. Hierzu gehören die Protokolle über die Abnahmefahrten, die Urkunden über die vorläufige und endgültige Inbetriebnahme sowie Dokumente über technische Erprobungen. Aus diesen geht eindeutig hervor, dass zumindest in den siebziger Jahren die drei Züge vorrangig als Versuchsträger für neue technische Komponenten dienten und der Planeinsatz im IC-Verkehr diesem Ziel diente. Etwaige Unzuverlässigkeit im IC-Betriebseinsatz war also durchaus eingeplant.

Den letzten „Kick“ für eine positive Kauf-Entscheidung gab jedoch das Eisenbahn-Bundesamt. Es zeigte sich ausgesprochen konstruktiv und zeigte die rechtlichen Rahmenbedingungen für einen Weiterbetrieb der Züge auf. Offenkundig gibt es auch in Bonn noch Freunde der eleganten Schnelltriebzüge 403.

Feedback

Unsere Umfrage vor Veröffentlichung dieser et403-Homepage hatte bereits ein lebhaftes Interesse der Eisenbahnfreunde am Erhalt wenigstens eines der drei ehemaligen Airport-Express-Züge signalisiert. Vom Echo auf unsere Homepage waren wir jedoch überwältigt. Innerhalb weniger Stunden wurde unsere Seite über tausendmal angeklickt. Wir erhielten zahlreiche Anfragen und Hinweise und viele sprachen uns Mut zu – per Telefon, mit Email und über verschiedene Foren, wie z.B. Drehscheibe online - das war für uns wirklich motivierend.

Aber vieles fehlt uns noch, vor allem Planunterlagen. Und auch zu ehemaligen Mitgliedern der BSW-Gruppe Stuttgart haben wir noch keinen Kontakt gefunden.

Das Ergebnis der Umfrage hat uns in unserem Vorhaben bestätigt, an dieser Stelle weiter zu machen. Vielen Dank dafür.

(Screenshot vom 17.09.2011 - Umfrage geschlossen)